Würdigung

Auf Vorschlag der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften verleiht die
HAMBURGISCHE STIFTUNG FÜR WISSENSCHAFTEN,
ENTWICKLUNG UND KULTUR HELMUT UND HANNELORE GREVE
den Förderpreis an
Frau Dr. phil. Katja Crone
Philosophisches Seminar, Universität Hamburg

Die Dissertation von Frau Dr. Katja Crone ist einem schwierigen Text der Philosophie des Deutschen Idealismus gewidmet, Fichtes "Wissenschaftslehre nova methodo" aus dem Jahre 1799. Sie interpretiert Fichtes Text als eine Theorie konkreter Subjektivität mit dem Ziel zu zeigen, dass sich diese Theorie für die heutige Diskussion diesbezüglicher Fragen fruchtbar machen lässt. Ihre Verknüpfung von hermeneutisch korrekter Textanalyse mit sachorientiertem Problembewusstsein ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Philosophiegeschichte betrieben werden sollte, um in die Erörterung systematischer Fragen gegenwärtigen Philosophierens mit Gewinn eingebracht zu werden.

Hamburg, am 26. November 2004

(Prof. Dr. Helmut Greve) (Prof. Dr. h. c. Hannelore Greve)
Stiftungsvorstand

 

Danksagung von Dr. Katja Crone

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr verehrtes Ehepaar Greve, meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich sehr, dass meine Arbeit mit dem Förderpreis der Hamburgischen Stiftung für Wissenschaften, Entwicklung und Kultur Helmut und Hannelore Greve ausgezeichnet wird. Mein Dank gilt zunächst den beiden Stiftern, Ihnen, sehr geehrtes Ehepaar Prof. Greve sowie dem Vorstand der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften. Ganz besonders möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Bartuschat bedanken, dem Betreuer meiner Dissertation, der mich für diesen Preis vorgeschlagen hat; ihm verdanke ich viele wichtige Anregungen. Bei Frau Prof. Frede, der Zweitgutachterin meiner Arbeit, möchte ich mich ebenfalls für ihre stets hilfreiche Unterstützung bedanken.
In meiner Dissertation, die ich Ihnen nun kurz vorstelle, habe ich mich mit Johann Gottlieb Fichtes transzendentalphilosophischer Theorie des Selbstbewusstseins beschäftigt.
In diesem Jahr ist die neuzeitliche Transzendentalphilosophie besonders präsent in öffentlichen Diskussionen, denn vor 200 Jahren starb Immanuel Kant, der nicht nur die Theorie des politischen und moralischen Handelns wesentlich geprägt hat, sondern auch eine ganz bestimmte Form des philosophischen Denkens. Auf Kant geht die systematische Grundüberlegung zurück, die Beschaffenheit der Außenwelt im Rückgriff auf allgemeine Strukturen des Mentalen zu erklären. Diese bahnbrechende philosophische These ist von vielen Zeitgenossen Kants aufgegriffen worden, darunter auch von Johann Gottlieb Fichte. Fichte setzt jedoch in seiner Grundlagentheorie Akzente, die in anderer Weise einen Bezug zu heute aktuellen Theorieansätzen erkennen lassen. Fichte übernimmt zwar den von Kant geprägten Begründungsanspruch, das Denken der Welt aus subjektiven Gesetzen abzuleiten, stellt aber das Phänomen des Selbstbewusstseins stärker in den Mittelpunkt. Er versucht eine theoretisch fundierte Antwort auf die Frage zu geben, durch welche Bewusstseinsstrukturen sich ein Subjekt grundsätzlich und durchgängig charak-terisiert sieht, was jemand prinzipiell meint, wenn er sich als "ich" bezeichnet.
Eine schwache Form von Selbstbewusstsein lässt sich bereits in allen konkreten mentalen Akten nachweisen. Denk- und Vorstellungsakte sind zum einen dadurch charakterisiert, dass sie sich auf Objekte richten; sie haben einen beschreibbaren Gegenstand. In ihnen ist aber zum anderen auch ein Moment nicht eigens reflektierter Selbstbezüglichkeit enthalten, und damit das Bewusstsein, selbst Urheber der jeweiligen Denkakte zu sein. Obwohl man sich dieses Ich-Bewusstseins normalerweise nicht ausdrücklich bewusst ist, so ist es darin doch implizit thematisch.
Eine stärkere Form von Selbstbewusstsein manifestiert sich im Kontext praktischen Handelns. Damit sind Situationen gemeint, in denen man beispielsweise über Handlungsmotivationen nachdenkt, über Sinn, Zweck und Umsetzbarkeit einer möglichen Handlung, und man sich schließlich für eine Option entscheidet, die als Handlung realisiert werden soll. Nach Fichte ist bei solchen Überlegungen ein bestimmter Freiheitsbegriff wirksam, der für das Bewusstsein, Urheber der eigenen Handlungsentwürfe zu sein, maßgeblich ist: Der Begriff der Wahlfreiheit beschreibt die Fähigkeit, von mehreren Handlungsoptionen eine einzelne auszuwählen.
Aus der Perspektive eines Subjekts wären die einzelnen Handlungsvollzüge jedoch disparat und ohne jede bewusste Kontinuität, wenn ihnen nicht ein noch grundlegenderes praktisches Bewusstsein unterliegen würde. Entscheidend für praktisches Selbstbewusstseins ist daher nicht die Wahlfreiheit, sondern - grundlegender - Freiheit als Autonomie, die den einzelnen konkreten Handlungen noch voraus zu denken ist. Dieses übergreifende Bewusstsein der Autonomie realisiert sich nach Fichte aber nicht aus sich selbst heraus, sondern erst wenn mehrere Individuen in Kontakt zueinander treten. Das konkrete Freiheitsbewusstsein eines Einzelnen ist an ein soziales Umfeld gebunden, in dem sich Individuen als freie Individuen ansprechen und darin ihre wechselseitige Anerkennung zum Ausdruck bringen.
Fichtes Argumentation beginnt also mit erkenntnistheoretischen Strukturüberlegungen, geht über zu praktischen Bedingungen des Selbstbewusstseins und erreicht schließlich die Ebene der Intersubjektivität.
Nach Fichtes Subjektivitätstheorie ist Selbstbewusstsein kein für sich bestehendes mentales Phänomen; Selbstbewusstsein ist notwendig mit Weltbewusstsein und dem bewussten Umgang mit anderen Individuen verbunden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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