Würdigung und Danksagung

Auf Vorschlag der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften verleiht die
DR. HELMUT UND HANNELORE GREVE STIFTUNG
FÜR WISSENSCHAFTEN UND KULTUR
den Förderpreis an
Herrn Priv.-Doz. Dr. phil. Jürgen Heidrich
Musikwissenschaftliches Seminar, Georg-August-Universität Göttingen


Herr Privatdozent Dr. Jürgen Heidrich hat mit seiner Dissertation "Die deutschen Chorbücher aus der Hofkapelle Friedrichs des Weisen. Ein Beitrag zur mitteldeutschen Musikpraxis um 1500" völlig neue Erkenntnisse zur Provenienz und zum Repertoire der sogenannten ,Jenaer Chorbücher' vorgelegt. In seinem interpretatorischen Ansatz verbindet er die codicologische Methode der Quellenerschließung mit musikgeschichtlichen, kirchengeschichtlichen, rezeptions- und institutionsgeschichtlichen Fragestellungen. Vom Quellenbefund ausgehend belegt er auf subtile Weise, dass einige der Chorbücher deutlich die Nähe zum süddeutschen Repertoire der Hofkapelle Maximilians I. widerspiegeln, andere hingegen einen engen Bezug zu den liturgischen Bräuchen der Wittenberger Schloßkirche erkennen lassen. Damit hat er nicht nur der Erforschung der Musik der Reformationszeit wichtige Impulse gegeben, sondern auch der quellenorientierten Interpretation musikalischer Kunstwerke der frühen Neuzeit neue Wege gewiesen.

Hamburg, am 10. November 2000


(Dr. Helmut Greve) (Hannelore Greve)
Stiftungsvorstand

 

Danksagung von Dr. Jürgen Heidrich

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr verehrtes Ehepaar GREVE, meine Damen und Herren,

"wie ich es nun anfangen soll, um Ihnen [...] so recht genügend zu danken, das weiß ich wahrlich nicht. Denn was ich Ihnen auch sagen mag, so sinds doch nur Worte, und die wollen mir gar nicht recht ausreichen, wenn ich eine so aufrichtige Erkenntlichkeit aussprechen möchte, wie jetzt. [...] So will ich Ihnen auch weiter gar nicht für jede einzelne Gefälligkeit und Güte, für jede Mühe, die Sie sich meinetwegen gemacht, danken; ich würde nicht aufhören können das zu thun - aber die freundliche Gesinnung, die aus alledem sprach [...] - dafür lassen Sie mich hier Ihnen [...] so recht von Herzen meinen Dank sagen."

Sie, verehrte Frau GREVE, werden vielleicht wissen, aus wessen Feder diese Zeilen geflossen sind: Sie stammen aus einem Brief des jungen FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY vom Januar 1830 an seine Förderer IGNAZ und CHARLOTTE MOSCHELES. Es sei mir gestattet, Ihnen beiden, verehrtes Ehepaar GREVE, durch diese schönen Worte aus gewiß berufenem Munde meinen Dank und meine Freude über die Zuerkennung dieses ehrenvollen Preises zum Ausdruck zu bringen. In gleicher Weise danke ich der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Hamburg, die mich für diese Auszeichnung vorgeschlagen hat. Und schließlich ist hier und jetzt auch der Ort, Bibliotheken, Forschungseinrichtungen und Kollegen für mannigfache wissenschaftliche Unterstützung nochmals Dank zu sagen: Vor allen anderen nenne ich meinen verehrten Göttinger Doktorvater Herrn Professor Dr. MARTIN STAEHELIN.
Im Zentrum meiner Studie, die ich Ihnen jetzt kurz vorstellen möchte, stehen die sogenannten Jenaer Chorbücher, eine Gruppe von Musikhandschriften aus der Zeit kurz vor 1500. Man hat diese Quellen bisher ausnahmslos als Dokumente einer genuin mitteldeutschen Musikpflege angesehen, zugleich als frühe Belege einer eigenständigen deutschen Musikpraxis überhaupt. Denn es schien naheliegend, daß die Manuskripte am Ort ihrer damaligen Verwendung, dem Hof des sächsischen Kurfürsten FRIEDRICH DES WEISEN, auch kompiliert worden seien.
Durch breitangelegte Provenienz- und Repertoirestudien konnte dieses Bild korrigiert werden: Buch-, Einband- und Schreiberuntersuchungen, die Verortung des liturgischen Programms, sodann die Einbeziehung politischer, geistes- und kulturgeschichtlicher Bedingungen, schließlich die musikalische Analyse führten zu dem Resultat, daß die fraglichen Manuskripte nicht länger als kursächsische Eigenleistungen gelten können, sondern vielmehr süddeutsche Importe sind und aus dem Umfeld der seinerzeit in Europa tonangebenden, in Innsbruck oder Wien residierenden Hofkapelle des späteren Kaisers MAXIMILIAN I. stammen. Wichtiges Argument für diese Neueinschätzung ist der von der Musikforschung bisher übersehene Sachverhalt, daß sich der musikliebende Kurfürst FRIEDRICH während der angenommenen Entstehungszeit eben am maximilianischen Hof aufhielt und dort zwei Jahre lang mit hohen reichspolitischen Ämtern betraut war. Friedrich selbst dürfte also während seiner süddeutschen Zeit die Herstellung der Chorbücher veranlaßt haben.
Dieses Ergebnis hat Konsequenzen für die Beurteilung der mitteldeutschen Musikgeschichte in den Jahren unmittelbar vor der Reformation schlechthin, denn als Folge der Verlagerung der Chorbücher nach Süden wird der ohnehin nur karge Repertoirebestand mitteldeutscher Musik um 1500 noch weiter ausgedünnt. So bedauerlich dieser Befund aus lokalgeschichtlicher Perspektive auch erscheinen mag, so aufschlußreich sind demgegenüber die Erkenntnisse zu Rezeption und Migration von Repertoire und Musikern des Spätmittelalters, namentlich im Blick auf die Ausbreitung der vorherrschenden franko-flämischen Musik nach Osten.
Schließlich sei ein wissenschaftsgeschichtlicher Aspekt meiner Studie angesprochen: Sie ist ein Beitrag zur sogenannten Renaissance-Musikforschung, somit zu einem musikwissenschaftlichen Terrain, in dem Vertreter der deutschsprachigen Musikforschung in der Vergangenheit Herausragendes geleistet haben, einem Terrain, das gegenwärtig allerdings hierzulande kaum noch bestellt und nach Qualität und Quantität beinahe völlig von amerikanischen Wissenschaftlern dominiert wird. Vor diesem Hintergrund verstehe ich den Förderpreis auch als Ermunterung, weiterhin zur Wiederbelebung und breiteren Repräsentanz dieses wichtigen musikhistorischen Gebietes in der deutschen Musikwissenschaft beizutragen.
Ich danke für Ihr Interesse.

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