Würdigung

Auf Vorschlag der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften verleiht die
HAMBURGISCHE STIFTUNG FÜR WISSENSCHAFTEN,
ENTWICKLUNG UND KULTUR HELMUT UND HANNELORE GREVE
den Förderpreis an
Herrn Dr. phil. Matthias Krüger
Kunstgeschichtliches Seminar, Universität Hamburg

In seiner rezeptionsgeschichtlich orientierten Dissertation "Das Relief der Farbe" legt Matthias Krüger dar, wie sich das Verständnis des Mediums Malerei im Kontext der fortschreitenden Industrialisierung und unter dem Konkurrenzdruck der Fotografie nachhaltig veränderte. Am Beispiel der französischen Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kann er zeigen, dass der Einsatz bestimmter Maltechniken nicht als formale Entscheidung galt, sondern mit sozialen, nationalen, geschlechtsspezifischen und medientheoretischen Bedeutungen aufgeladen war. Die auch rhetorisch glänzende Studie eröffnet einen neuartigen Zugang zur Analyse der Medienkonkurrenz des 19. Jahrhunderts.

Hamburg, am 26. November 2004

(Prof. Dr. Helmut Greve) (Prof. Dr. h. c. Hannelore Greve)
Stiftungsvorstand

 

Danksagung von Dr. Matthias Krüger

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrtes Ehepaar Greve, sehr geehrte Damen und Herren,
eine Dissertation stellt immer auch ein Wagnis dar. Angesichts der rigorosen Sparmassnahmen, durch die insbesondere die Geisteswissenschaften in ihrer Substanz bedroht werden, ist dieses Risiko heute vielleicht höher denn je. Umso beglückter ist man, wenn die eigene Dissertation eine solche Ehrung erfährt, wie ich sie heute entgegen nehme darf. Mein herzlicher Dank gilt daher Ihnen, Frau Professor und Herrn Professor Greve, den Stiftern dieses Preises, sowie der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften. Darüber hinaus gilt er vor allem Frau Prof. Monika Wagner, die mich für diesen Preis vorgeschlagen hat, und Herrn. Prof. Wilhelm Hornbostel, der diesen Vorschlag in die Joachim Jungius-Gesellschaft eingebracht hat. Bei Frau Wagner möchte ich mich außerdem für die engagierte und stets inspirierende Betreuung meiner Dissertation bedanken. Bereits in der Themenwahl bin ich Frau Wagner insofern verpflichtet, da sie das Material in der Kunst der Moderne zu einem der Forschungsschwerpunkte des Hamburger Kunstgeschichtlichen Seminars gemacht hat. Schließlich möchte ich mich an dieser Stelle auch bei all den anderen bedanken, die zum Erfolg meiner Dissertation beigetragen haben, insbesondere meinen Eltern für ihre Unterstützung.
Das Material, mit dem ich mich beschäftigt habe, die Farbpaste, gehört zu den tradiertesten Materialien der bildenden Künste. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde der Farbe als Material allerdings kaum Bedeutung beigemessen. Was zählte, war allein die Farbigkeit der Farbe, nicht aber ihre Materialität. Diese sollte vielmehr im fertigen Gemälde unscheinbar gemacht werden. Herkömmliche Malanleitungen schrieben daher vor, dass ein Gemälde nach dem eigentlichen Malakt mit einem speziellen Pinsel von allen materiellen Unebenheiten gereinigt werden solle. Mit diesem Manöver, das im Jargon der Maltechnik fini genannt wird, wurde dem Gemälde gleichsam sein letzter Schliff verliehen.
Im 19. Jahrhundert vollzieht sich hier jedoch ein radikaler Umbruch. Mehr und mehr Künstler verzichten auf das nun als akademisch verschriene fini zugunsten eines pastosen Farbauftrags. Pastos nennt man eine Malweise, bei der die Farbe so aufgetragen wird, dass auf dem Bildträger ein Relief entsteht - daher auch der Titel meiner Dissertation: "Das Relief der Farbe. Pastose Malerei im Diskurs der französischen Kunstkritik 1850-1900." Als Beispiel einer solchen pastosen Malweise sei hier nur auf das Werk Vincent Van Goghs verwiesen, von dem ich in meiner Arbeit mehrere Gemälde bespreche.
Im Wesentlichen basiert meine Dissertation jedoch auf der Analyse der kunstkritischen und kunsttheoretischen Rezeption pastoser Malerei. Grundlage dafür bildete vor allem eine Auswertung zahlreicher Rezensionen zu Ausstellungen der damals zeitgenössischen Kunst, insbesondere des alljährlichen Pariser Salons.
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhundert kann als Blütezeit der Kunstkritik gelten. Nie zuvor hatte es eine derart ausführliche Berichterstattung über Gemäldeausstellungen gegeben, wie es anlässlich der Salons dieser Zeit geschah. Und wohl nie zuvor ist derart kontrovers über Fragen des Farbauftrags theoretisiert und gestritten worden. Es handelt sich bei dieser Debatte indes nicht um eine rein maltechnische Auseinandersetzung. Vielmehr spiegeln sich in ihr die gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Kontroversen, die dieses Zeitalter prägten.
Es gab allerdings Bildgattungen, in denen ein pastoser Farbauftrag keine Kontroversen auslöste. Zu ihnen gehörte vor allem das Stillleben. Nach Auffassung der zeitgenössischen Kunsttheorie bestand die Aufgabe des Stilllebenmalers vor allen darin, die von ihm gemalten Gegenstände in ihrem materiellen Reiz darzustellen: das Brot sollte knusprig wirken, der Käse cremig. Und dies waren Qualitäten, die der Künstler durch einen differenzierten Farbauftrag zu evozieren hatte. Nicht zufällig bezeichnete man das Anrühren und Auftragen der Farbe damals als die cuisine des Künstlers; mit seinem Pinselstrich, so forderte einer der bedeutendsten Theoretiker dieser Zeit, habe der Künstler zu würzen, was er den Augen des Betrachters als Schmaus darbiete.
Aber nicht in allen Bildgattungen war eine solche Würze zulässig; beim Stillleben mochte der Künstler die Farbe dick auftragen, Nämliches galt auch für das Portrait eines ‚derben' Bauern, bei einem Bildnis einer jungen Dame von Welt ziemte sich eine solch fromageuse Malweise nicht. Gerade in Bezug auf die Portraitmalerei ließ sich zeigen, dass die Art und Weise des Farbauftrags in hohem Maße auch gesellschaftlich konnotiert war.
Am allergischsten reagierte die Kritik auf die Farbpaste dort, wo der Bildgegenstand ideeller Natur war, wie dies etwa bei allegorischen oder religiösen Themen der Fall ist. Bei diesen Themen sollte sich die Malerei als Malerei unsichtbar machen, das Gemälde sollte wie ein immaterielles Bild wirken, wie ein Vision, also wie etwas, das man sehen, jedoch nicht anfassen oder gar riechen oder schmecken könne. Dementsprechend wurde ein grobkörniger, substanzhaltiger, pastoser Farbauftrag hier meist entschieden abgelehnt.
Zugleich lassen sich zwei unterschiedliche Parteien unter den Kritikern ausmachen. Auf der einen Seite standen die Idealisten. Für sie war die Malerei vor allem ein geistiges Medium. Der künstlerische Wert eines Gemäldes sollte in dem Gedanken gesehen werden, den der Künstler auf die Leinwand projiziert, nicht in seiner materiellen Beschaffenheit. So postulierte einer der eminentesten Vertreter des Idealismus damals, dass ein Gemälde in erster Linie eine "Emanation des Geistes" zu sein habe, und eben nicht nur "Produkt der Palette". Die idealistische Kunstkritik forderte daher vom Künstler, die Materialität seiner Gemälde durch das fini, durch Glättung und Einebnung der Farbmaterie zu verschleiern.
Auf der anderen Seite standen die positivistisch gesinnten Naturalisten, die sich prinzipiell gegen jede Art von Ideen- oder Gedankenmalerei aussprachen; ihrer Ansicht nach hatte sich der Künstler an der sichtbaren Natur zu orientieren, die er dem Betrachter greifbar vor die Augen stellen sollte. Daher sollte die Malerei ihren eigenen Körper nicht im akademischen fini verleugnen. Stattdessen hatte das pastos aufgetragene Farbmaterial gleichsam für die Materialität der äußeren Welt einzustehen.
Doch steht der intensiv geführte Diskurs über die Materialität und Medialität der Malerei nicht nur unter dem Zeichen des Streits zwischen Idealismus und Positivismus. Vielmehr ist es im ganz wesentlichen Maße auch der Konkurrenzdruck, welcher der Malerei damals in der Photographie erwuchs, der es notwendig machte, das Medium Malerei neu zu definieren. Daher beschäftigt sich ein Kapitel meiner Dissertation auch mit der Rolle der Kunst im anbrechenden Medienzeitalter - mit Fragen also, die bis heute nichts von ihrer Brisanz verloren haben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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