Würdigung
Auf Vorschlag der Joachim Jungius-Gesellschaft
der Wissenschaften verleiht die
HAMBURGISCHE STIFTUNG FÜR WISSENSCHAFTEN,
ENTWICKLUNG UND KULTUR HELMUT UND HANNELORE GREVE
den Förderpreis an
Herrn Dr. phil. René Wiese
Historisches Institut, Universität Rostock
Die strukturelle Biografie über Friedrich Franz II. erschließt wissenschaftliches Neuland. In seiner Dissertation gelingt es Herrn Dr. Wiese in überzeugender Weise, die wichtigste Herrscherpersönlichkeit Mecklenburgs im 19. Jahrhundert in den vielfältigsten Bezugssystemen ihrer Zeit und ihres politischen, gesellschaftlichen und konfessionellen Umfeldes sowie der zahlreichen, auf sie wirksam werdenden Einflüsse darzustellen. Sie setzt das Drei-Ebenen-Modell (Region - Nation - Europa) in die Forschungspraxis um und bietet ein richtungweisendes Beispiel dafür, dass Landesgeschichte stets in national- und europageschichtliche Einflussfaktoren eingebunden ist. Moderne Landesgeschichtsschreibung sollte diesen Ansatz bei ihrer Arbeit berücksichtigen.
Hamburg, am 26. November 2004
(Prof. Dr. Helmut Greve)
(Prof. Dr. h. c. Hannelore Greve)
Stiftungsvorstand
Danksagung von Dr. René Wiese
Sehr geehrter Herr Präsident, verehrtes
Ehepaar Greve, meine sehr geehrten Damen und Herren,
hin und wieder wird der Vorwurf laut, biographische Geschichtsforschung
reduziere die beziehungsreiche Vielgestaltigkeit des sozialen
Lebens auf das Handeln einzelner großer Persönlichkeiten.
Diese Behauptung hat sich lange überholt. Die moderne historische
Biographie bringt sich mit komplexen Einsichten in die Erkenntnis
von Strukturen und Mentalitäten ein. Dieser Geschichtsforschung
ist auch meine Biographie über den mecklenburgischen Großherzog
Friedrich Franz II., eine Epochengestalt der deutschen Geschichte
des 19. Jahrhunderts, verpflichtet. Und ich habe mich bemüht,
das ihnen allen bekannte und immer wieder Bismarck in den Mund
gelegte Klischee zu korrigieren: Wenn die Welt untergeht, ginge
man am besten nach Mecklenburg, wo alles 50 Jahre später
geschehe.
Das vorvergangene Jahrhundert war ein Zeitalter, in dem die Monarchie
nicht nur in Mecklenburg die Gesellschaft ein letztes Mal prägte.
Und das vor dem Hintergrund einer föderalen Staatsordnung,
die sich nicht allein auf Preußen reduzieren lässt.
Das hier in Hamburg zu betonen, hieße Eulen nach Athen tragen.
Dabei fällt auf, dass bis heute gerade in Deutschland das
Interesse der Öffentlichkeit am Leben der europäischen
Royals ungebrochen ist, so als habe die Abdankung der deutschen
Monarchien 1918 eine noch nicht geschlossene Lücke hinterlassen.
Wir stoßen hier auf grundsätzliche gesellschaftliche
Orientierungsfragen in der Moderne. Woran also hat sich der Großherzog
zwischen 1820 und 1880 orientiert?
Zum einen am nach der Aufklärung wiedererweckten Christentum.
Die mit der französischen Revolution untergrabene Rechtmäßigkeit
der alten monarchischen Ordnung meinte der Großherzog mit
einem erneuerten Luthertum wieder befestigen zu können. Als
Herrscher von Gottes Gnaden folgte der Großherzog einer
politischen Theologie, die im neugotischen Kirchenbau das irdische
Zeichen einer göttlichen Weltordnung sah. Die Frage nach
religiöser Orientierung auch in der offenen, modernen Gesellschaft,
die damals im Entstehen begriffen war, ist - ich brauche das kaum
zu betonen - unverändert aktuell.
Wie der Bundespräsident heute hatte der Monarch damals über
den Interessengruppen zu stehen. In dieser Rolle hat Friedrich
Franz II. als Bauherr und Landesvater, als Mäzen und Stifter,
als Oberbischof und Kirchenpatron dazu beigetragen, Mecklenburg
unter den deutschen Staaten eine spezifische Identität zu
schaffen, die bis heute Bestand hat und die für die Neugründung
des Landes 1990 grundlegend war.
Neben der regionalen hatte sich der Großherzog auch gegenüber
der nationalen deutschen Identität zu positionieren, um die
vom Bürgertum getragenen Einheitsidee beherrschbar zu halten.
Dazu diente ihm in jener kriegerischen Epoche die Übertragung
des für die bürgerliche Gesellschaft maßgeblichen
Leistungsprinzips auf das Militär. Durch den Nachweis militärischer
Führungsfähigkeiten als General konnte er während
Krieg und Reichsgründung 1870/71 sein Prestige erhöhen
und die Monarchie stabilisieren. Diese Haltung förderte allerdings
die Militarisierung der deutschen Gesellschaft, an deren Ende
1945 auch die Gründung der Jungius-Gesellschaft einen Neuanfang
symbolisiert.
Künstlerisch fand der Großherzog Orientierung im Umbau
des Schweriner Schlosses zu einem der bedeutendsten Architekturdenkmäler
des romantischen Historismus in Europa. Damit bereitete er Architekten,
Künstlern, Historikern und Theologen ein Wirkungsfeld, wie
es im 19. Jahrhundert kaum mehr eines gab. Auf diese Weise Politik-,
Ideen-, Kirchen- und Kunstgeschichte biographisch zu vernetzen,
hat die Arbeit an meiner Dissertation bestimmt.
Ich kann meine Ausführungen nicht schließen, ohne der
Joachim Jungius Gesellschaft der Wissenschaften herzlich dafür
zu danken, dass sie mir den Förderpreis der Hamburgischen
Stiftung für Wissenschaften, Entwicklung und Kultur Helmut
und Hannelore Greve zuerkannt hat. Prof. Lothar Pelz hat mich
vorgeschlagen. Dafür bin ich ihm sehr verbunden. Ihnen, verehrtes
Ehepaar Greve, möchte ich ganz besonders danken, dass sie
sich in diesen widrigen Zeiten der großzügigen Förderung
des wissenschaftlichen Nachwuchses annehmen, die leider keine
Selbstverständlichkeit mehr ist. Dass meine vor einem Jahr
verstorbene akademische Lehrerin Prof. Ilona Buchsteiner die Anerkennung
der von ihr mit Prof. Wolf Gruner in Rostock betreuten Arbeit
nicht mehr erleben kann, ist der einzige Makel an diesem Tag der
Freude für mich.