Dorothea Frede
Bruno Snell und die Gründung der Joachim
Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften.
Jahrgang 2001, Nr. 91, 25 Seiten, kart., (ISBN 3-525-86310-1),
6,90.
Die Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus haben
dazu geführt, daß heutzutage die Zeit des Wiederaufbaus
der Universitäten nach dem Krieg vielfach nur als eine Zeit
der Versäumnisse gesehen wird. Eine grundsätzliche Klärung
und eine entsprechende Aufarbeitung des Vergangenen fanden nicht
statt. Unter diesen Vorzeichen könnte auch die Gründung
der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften im Mai 1947
als rein restaurative Maßnahme erscheinen, welche der Forschung
wieder auf ihre alten Geleise helfen sollte. So berechtigt diese
kritische Haltung erscheinen mag, so darf doch die schiere Notlage
von Wissenschaft und Forschung in den ersten Jahren nach dem Krieg
nicht übersehen werden. Erst sie macht begreiflich, warum
auch standfesten Gegnern des Nationalsozialismus wie BRUNO SNELL
mehr am Aufbau als am Aufräumen gelegen war. Die Gründung
einer wissenschaftlichen Gesellschaft war zudem ursprünglich
keine rein akademische Angelegenheit: die Stadt Hamburg selbst
hatte unter Senator LANDAHL als Vertreter des Bürgermeisters
die Initiative ergriffen, um die Aktivitäten der verschiedenen
wissenschaftlichen Vereine unter einem Dach zu vereinen und in
engeren Kontakt zur Universität zu bringen. Der Name Joachim
Jungius' bot sich an, weil JUNGIUS, der in Hamburg im 17. Jahrhundert
viele Jahre die Traditionsschule Johanneum und das Akademische
Gymnasium geleitet hatte, in ähnlicher Weise wie LEIBNIZ
eine umfassende Gelehrsamkeit mit Einsatz für öffentliche
Bildung verband.
Die Erarbeitung einer Satzung für die Joachim Jungius-Gesellschaft
der Wissenschaften erwies sich wegen der unterschiedlichen bildungspolitischen
Vorstellungen der Beteiligten als schwierig. War es den Vertretern
der Bürgerschaft wie auch manchen Wissenschaftlern eher um
die Verbesserung der allgemeinen Bildung zu tun, so steuerten
andere Vertreter der Wissenschaften unmittelbar die Gründung
einer Akademie an. Einen Kompromiß zu finden und die Gegensätze
auszugleichen, war für den Gründungspräsidenten
BRUNO SNELL keine einfache Aufgabe. Zudem hatte er auch noch mit
der großen materiellen Not zu kämpfen, die nicht nur
die Alltagsgeschäfte, sondern seine Bemühungen erschwerten,
namhafte Wissenschaftler aus dem Ausland für die Tagungen
der Jungius-Gesellschaft zu gewinnen. Wie die Zeugnisse aus der
Zeit belegen, hat er sich diesen Aufgaben nicht nur unermüdlich,
sondern auch mit großem Optimismus unterzogen. Der Autor
des Klassikers Die Entdeckung des Geistes' war nicht nur
überzeugt von der Notwendigkeit der Wiedererweckung des Geistes
in Deutschland nach 1945, sondern er hatte auch das Vertrauen
in die Wissenschaft nicht verloren. Wirklich gute Wissenschaft,
so läßt sein Beitrag zur Leibniz-Tagung von 1946 erkennen,
ist gar nicht korrumpierbar, sondern dient als Brücke zur
Wissenschaft in der ganzen Welt.
Dieser Beitrag enthält nicht nur eine Dokumentation der Bemühungen
um solche Brückenschläge in den ersten Jahren nach dem
Krieg und ihrer Schwierigkeiten, sondern hebt hervor, wie viel
diese Bemühungen dem persönlichen Einsatz SNELLs, seiner
Integrität und seinem internationalen Ansehen verdanken.
Die Autorin ist seit 1991 Professorin für Geschichte der Philosophie an der Universität Hamburg und seit 1993 Mitglied der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften.