Würdigung und Danksagung

Auf Vorschlag der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften verleiht die
DR. HELMUT UND HANNELORE GREVE STIFTUNG
FÜR WISSENSCHAFTEN UND KULTUR
den Förderpreis an
Herrn Dr. phil. Dirk Steuernagel, M. A.
Archäologisches Seminar, Universität Hamburg

Herr Dr. Dirk Steuernagel hat mit seiner methodisch stringent aufgebauten Dissertation über „Menschenopfer am Altar. Untersuchungen zu Darstellungen griechischer Mythen in der etruskischen Grabkunst" ein hochaktuelles Thema der Altertumswissenschaften aufgegriffen und gestützt auf eigene Feldforschung in Etrurien sowie auf Bibliotheksstudien, die zum Teil in Rom durchgeführt wurden, unter einem interdisziplinären Forschungsansatz in seinen archäologischen, mythologischen und religionsgeschichtlichen Aspekten überzeugend abgehandelt; dabei konnte er durch Anwendung und Weiterentwicklung strukturalistischer Fragemodelle neue Perspektiven zur Erhellung eines bedeutenden Transkulturationsprozesses in der Alten Welt eröffnen.

Hamburg, den 1. November 1996

(Dr. Helmut Greve) (Hannelore Greve)
Stiftungsvorstand

 

Danksagung von Dr. phil. Dirk Steuernagel

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrtes Ehepaar Greve, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Zunächst will ich meiner großen Freude darüber Ausdruck geben, daß ich heute an dieser Stelle stehen und den „Förderpreis der Dr. Helmut und Hannelore Greve Stiftung für Wissenschaften und Kultur" entgegennehmen darf. Ich empfinde es als große Anerkennung, für den von Ihnen, verehrtes Ehepaar Greve, großzügig gestifteten Preis durch die Joachim-Jungius-Gesellschaft auserwählt worden zu sein. Dafür danke ich herz-lich. Mit einschließen in den Dank will ich aber auch Herrn Prof. Hans-Georg Niemeyer, der meine Arbeit stets gefördert und in jeder Hinsicht unterstützt hat, sowie – last but not least – meinen Doktorvater, Herrn Prof. Lambert Schneider, der mir ein unermüdlicher und kritischer Begleiter auf dem Wege zur Promotion und darüber hinaus war.
Mit meiner Arbeit, die sich nicht nur in der Dissertation, sondern auch in einer dieser vorausgegangenen Magisterarbeit sowie in mehreren Forschungsaufenthalten in Italien – zuletzt im Rahmen des Reisestipendiums des Deutschen Archäologischen Instituts –, niedergeschlagen hat, betrat ich kein forschungsgeschichtliches Neuland. Darstellungen griechischer Mythen in der etruskischen Kunst haben schon seit langem das Interesse der Archäologen hervorgerufen. Aus der Geschichte unserer Wissenschaft heraus geschah dies jedoch zumeist unter der Fragestellung, inwiefern die etruskischen Bildwerke ihre – bekannten oder postulierten – griechischen Modelle getreu wiedergeben. Sie galten als Gradmesser der Rezeption einer höherstehenden Kultur. So erklärt es sich auch, daß etruskische Sagenbilder, soweit deren Deutung sich nicht von der griechi-schen literarischen oder bildlichen Tradition her erschließt, als bedeutungslose Banalisierungen unverstandener Vorbilder abgetan wurden. Demgegenüber habe ich versucht, dieses bislang stiefmütterlich behandelte Material als Quelle für Geschichte und Kultur Etruriens nutzbar zu machen.
In meiner Magisterarbeit habe ich mich zunächst mit den etruskischen Darstellungen der Opferung trojanischer Kriegsgefangener am Grabe des Patroklos aus der Zeit des 4. bis 1. Jahrhunderts v. Chr. befaßt. Ich wählte dieses Sujet als Ausgangspunkt, weil durch verstreute Nachrichten bei antiken Autoren glaubwürdig belegt ist, daß die Etrusker tatsächlich gefangene Feinde opferten. An diesem Beispiel konnte also ein spezifischer Bezug zwischen historischer Lebenswirklichkeit und my-thi-scher Bilderwelt verifiziert werden. Allerdings stehen die Darstellungen in einem nicht illustrierenden, sondern interpretierenden Zusammenhang zur Realität, wie die vergleichende Analyse von Bild- und Schriftquellen zeigte: Die Darstellungen siedeln tatsächlich stets dem Götterkult vorbehaltene Gefangenenopfer im Kontext des Totenkults an. Sie verleihen damit realiter den Ahnen dargebrachten Tieropfern den Wert von Menschenopfern, steigern somit das Prestige der adligen Geschlechter, aus deren Gräbern das Gros der Bilder stammt. Dieses Vorgehen wird wiederum verständlich vor dem zeitgenössischen Hintergrund, der geprägt war durch in-terne soziale Konflikte und den aggressiven Expansionsdrang Roms, Faktoren also, die den Machtanspruch der etruskischen Aristokratie bedrohten.
Diese an einem zahlenmäßig wie thematisch eng umgrenzten Material gewonnenen Ergebnisse berücksichtigten noch nicht die vielfältigen formalen und inhaltlichen Querverbindungen, die zwischen Bildern von Menschenopfern und gleichzeitigen Darstellungen andersartiger Sujets bestehen. An konkreten Kontexten, etwa den Bilderzyklen einzelner Grabmonumente, konnte ich zeigen, daß oft mehrere Episoden von Gewaltak-ten jedweder Art an sakralen Stätten – ob Opferung, Ermordung Schutzflehender, Zweikampf oder Schlacht – miteinander kombiniert wurden. Auch vermischte man die Ikonographien verschiedener Sujets aus jenem Themenkreis in unterschiedlicher Form miteinander, durch den Austausch von einzelnen Elementen ebenso wie durch die Angleichung kompositorischer Schemata. Daß diese Operationen von den etruskischen Künstlern nicht willkürlich und gedankenlos vorgenommen wurden, wie man bislang meinte, sondern im Gegenteil bestimm-ten Gesetzmäßigkeiten gehorchten, bewies die übergreifende Betrachtung des Materials, die den Kern der Dissertation bildete. Hierbei habe ich Anregungen aus anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen verarbeitet, z.B. das von Claude Lévi-Strauss entwickelte Modell der strukturalen Mythenanalyse. Indem die erzählerischen Sequenzen, d.h., die verschiedenen Ikonographien, miteinander verglichen und an ihren Berührungspunkten, also charakteristischen Motiven, zur Deckung ge-bracht wurden, erhellten sich die grammatikalischen und syntaktischen Regeln, denen die Bildsprache folgt. So gelang es, bestimmte, immer wiederkehrende Bildchiffren auf ihren jeweiligen abstrakten – man könnte auch sagen: virtuellen – Bedeutungskern zurückzuführen. Das Abstrakte ergab sich somit für mich und wohl auch für den antiken Betrachter ebenso aus der Vielfalt der erzählerischen Zusammenhänge, wie es umgekehrt an diesen exemplifiziert wurde. Jede bildliche Variante, und wich sie noch so stark von den tradierten Vorbildern aus der griechischen Kunst ab, stellte innerhalb der etruskischen Bildsprache eine erneute Konkretisierung des allgemeinen, aber deswegen nicht banalen Inhalts dar und trug zu dessen Verständlichmachung bei.
Das allgemeine oder abstrakte Thema, das sich auf diese Weise aus der Palette der Darstellungen von Gewaltakten am sakralen Ort herausschälen ließ, ist eigentlich ein Gegensatzpaar: Menschenopfer und Mord am Altar. Der bereits zuvor erwähnten pietätvollen Pflege des gentilen Ahnenkultes stellen sich als kontrastierende Bilder z.B. die Pervertierung des Opfers in Gestalt der frevlerischen Bluttat am Altar oder die Entweihung des Heiligtums durch plündernde Gallier gegenüber. Gerade in den letztgenannten Szenen wird auch der Antagonismus zwischen ,zivilisierten’ Bewahrern sakralrechtlich gefaßter Normen und ihren ,barbarischen’ Herausforderern verdeutlicht. In einem solchen Abwehrkampf sah sich offenkundig der etruskische Adel, wenn er den Betreibern eines gesellschaftlichen Ausgleichs im Innern mit den Strafen der Götter drohte und sich den von außen kommenden neuen römischen Machthabern als Träger einer jahrhundertealten frommen Tradition, insbesondere auf dem Gebiet der Weissagung, andiente. Die Bilder von Menschenopfer und Mord am Altar sind in diesem Zusammenhang wohl nicht nur und vielleicht nicht einmal in erster Linie als propagandistische Äußerungen zu werten. Sie reflektieren vielmehr – quasi Akte der Selbstvergewisserung – den Zustand einer Zivilisation, die zu Grunde ging an ihrer mangelnden sozialen Flexibilität und der, wie die römische Geschichtsschreibung bezeugt, bis zum puren religiösen Aberglauben getriebenen geistigen Erstarrung.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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